Paul Duysen - Wegbereiter des Hamburger Expressionismus und Pionier des Sportjournalismus
Von Torben Dannhauer
Paul Duysen (geb. 1896 in Hamburg - gest. 1966 in Hamburg) gehört mit zu den Wegbereitern des literarischen Expressionismus in Hamburg. Im Unternehmen des Druckers und Verlegers Konrad Hanf war er für die inhaltliche Ausrichtung der Literarischen Abteilung verantwortlich. Bücher dieser Reihe, die in den Jahren 1918 bis 1922 veröffentlicht wurden, fehlen in keiner einschlägigen Darstellung über den Expressionismus in Hamburg.
Es ist wohl nicht übertrieben, Paul Duysen als Pionier des Sportjournalismus zu bezeichnen. Im Jahre 1920 gründete er die Hanseatische Sportzeitung, in der hauptsächlich über Fußball berichtet wurde und die ebenfalls im Verlag Konrad Hanf erschien. In den 1920ern war er ständiger Mitarbeiter in der Sportredaktion des Hamburger Fremdenblatts und veröffentlichte die erste Fußball-Biografie über den HSV-Stürmer Otto (Tull) Harder. Spätestens 1934/35 kam es zum Bruch zwischen dem freiheitsdenkenden Duysen und dem zum Nationalsozialismus übergetretenen Harder.
Als Schriftsteller und Journalist von den Nazis zur Untätigkeit gezwungen, als Mann mit homosexuellen Neigungen stigmatisiert und kriminalisiert, konnte Paul Duysen nach 1945 nicht mehr an seine Arbeit von vor 1933 anschließen. Er teilte das Schicksal vieler von den Nazis unterdrückter Künstler, die während des NS ruhig gestellt in Vergessenheit gerieten, den Schatten des Vergessens jedoch nach Ende der NS-Herrschaft nicht mehr vermochten zu verlassen. Paul Duysen blieb im Abseits "weil mein guter Autorenname", wie er 1953 selbst treffend schrieb, "den ich mir in den zwanziger Jahren bereits errungen hatte, durch das Verbot meiner Bücher seitens der NSDAP u[nd] durch mein schriftstellerisches Arbeitsverbot während 10 Nazijahre [...] vergessen werden musste." Paul Duysen ist aus der Hamburger Kulturgeschichte der 1920er Jahre nicht wegzudenken. Hier soll an ihn erinnert werden.
1. Frühe Jahre
Ginge es nach seinem Vater, hätte Paul Duysen sein Berufsleben als Kaufmann in einem der Kontore der Hamburger Innenstadt verbringen sollen. Sein Vater war Müller und seine Jugend verbrachte Duysen auf der Veddel und in Rothenburgsort. Er besuchte ab 1902 die Volksschule und erwarb 1912 auf dem Unterrichtsinstitut Dr. J. Zolinski seinen Schulabschluß. In einem Speditionskontor am Schopenstehl trat er als Volontär ein, später arbeitete er einige Zeit als Kontorist bei der Stadtwasserkunst. Er wurde 1915/16 zum Militärdienst eingezogen. Paul Duysen brach noch während der militärischen Ausbildung unter dem Drill und der Aussicht auf den Fronteinsatz zusammen und wurde wenige Monate nach dem Eintritt in den Militärdienst mit der militärärztlichen Diagnose „Nervosität und abnorme geistige Verfassung“ in ein Nervenlazarett eingewiesen. Sein Fall zeigt, wie der Terror des Krieges bis weit hinter die Front ausstrahlte. Sechs Wochen lang wurde er dort behandelt und aufgrund seiner seelischen Verfassung für den Waffendienst an der Front als untauglich eingestuft. Nach seiner Entlassung aus dem Nervenlazarett übernahm er als Büroleiter Verwaltungsaufgaben in der Fischabteilung des Hamburger Kriegsversorgungsamtes. Zeitgleich begann er sich literarisch zu betätigen. Er soll noch des „Oefteren [...] im Büro furchtbare Anfälle“ wegen seiner traumatischen Erlebnisse als Rekrut erlitten haben. Im Kriegsversorgungsamt lernte er Paula Krohn kennen, die er 1921 heiratete.
Ab 1918 hinterläßt Paul Duysen vermehrt Spuren in der Kulturwelt Hamburgs. Er veröffentlichte im Verlag Konrad Hanf seine ersten drei Werke und begründete damit die Literarische Abteilung des Verlages, die er in den folgenden Jahren leitete und in der Hans Henny Jahnn, Arthur Sakheim oder Johannes Wüsten Bücher herausbringen werden. Zwischen Duysen und der Zeitschrift Der Sturmreiter sind Verbindungen sichtbar und in den im Sommer 1918 eröffneten Hamburger Kammerspielen wurde 1920 Duysens Vierakter Der geniale Mensch - Ein Spiel von seinem Sein uraufgeführt. In dieser Zeit holte Duysen für kurze Zeit Hans Harbeck in die Literarische Abteilung des Verlages Konrad Hanf. Harbeck war im August 1918 in der Gründungsphase der Kammerspiele als Dramaturg von Erich Ziegel engagiert worden.
2. Expressionismus mit Dostojewski und Strindberg
Duysens Literatur, die ab 1918 ausschließlich bei Konrad Hanf erschien, wurzelt in der Auflehnung gegen die bestehende Ordnung und in der Auslotung von Alternativen zum erdrückend empfundenen Dasein im späten Kaiserreichs. Es lassen sich drei Hauptaspekte herausschälen. Erstens antwortet er in seinen Werken auf das apokalyptische Geschlächter des Ersten Weltkriegs, das ihn in seiner kurzen Militärdienszeit zusammenbrechen ließ, zweitens auf den erdrückenden Konflikt mit der herrschenden Sexualmoral, die ihn als homosexuell veranlagten Menschen stigmatisierte, kriminalisierte und pathologisierte, und drittens auf die als leer und sinnlos empfundene Kontor- bzw. Bürotätigkeit, in der er sich vom Leben abgeschnitten in einer toten Umgebung eingesperrt sah. Paul Duysen zeigt sich als typischer Vertreter der literarischen Expressionisten, deren „Glauben an eine metaphysisch fundierte Autonomie“ des Menschen tief erschüttert wurde und die „durch eine innere Erneuerung des Menschen“ (Frank Krause) das bestehende Norm- und Werteregime zu überwinden suchten.
In Das Leben, die Lüge und die Menschheit! verweigern zwei Rekruten, von Idealismus erfüllt, die von ihnen geforderte soldatische Pflicht. Der eine der beiden endet im Tod, der andere im Irrenhaus. In Das Martyrium eines Geistigen! setzt er die Innerlichkeit des Menschen über die herrschende normative Ordnung. Der durch den Protagonisten begangene Mord wird nicht vor Gericht, sondern in seinem Inneren gesühnt. Duysen knüpft hier an das unter Expressionisten verbreitete Vitalismus-Konzept an und steigert die Bedeutung des Geistes zu einer Auflehnung gegen die Fixierung des Individuums an eine moralisch und normativ festgefügte Welt. Beide Werke verfasste Duysen noch während des Krieges. Seinen Umbruchsdrang reicherte er ab 1918 zunehmend mit sozialistischen Inhalten an. Er selbst behielt zeitlebens ein distanziertes Verhältnis zu politischen Parteien, sprach sich schon 1917 gegen die Vormachtstellung einer Partei aus und bezeichnete sich selbst als freiheits- und linksdenkend.
Tiefe Verehrung empfand Duysen für Fjodor M. Dostojewski und August Strindberg. Sein 1917 entstandenes Bühnenstück Mephistopheles, Strindberg und der Krieg weist im Titel bereits darauf hin und sein 1918 erschienener Roman Das Martyrium eines Geistigen! wurde von Dostojewski inspiriert. Der Protagonist Christian Wunderlich erinnerte schon die zeitgenössische Kritik an die Romanfigur Raskolnikow.
3. Fußball und Sportjournalismus
Paul Duysens Leidenschaft galt dem Fußball. Vereinzugehörigkeiten sind für die Hamburger Fußballklubs S.C. Komet und S.C. Hermannia belegt, in denen er auf dem Spielfeld aktiv war und Posten im Vorstand übernahm. Er war beim S.C. Komet zeitweilig Vereinsvorsitzender und engagierte sich in der Verbandsarbeit der Hamburger Fußballvereine. Im März 1920 gründete er die Hanseatische Sportzeitung, die wöchentlich im Verlag Konrad Hanf erschien und für die Paul Duysen als Schriftleiter verantwortlich war.
Der holprige Untertitel der Zeitschrift "Organ für die Interessen des gesamten Turnen und Rasensports" ist etwas irreführend, denn die Zeitung kreiste hauptsächlich um den Fußball. Konrad Hanfs eigene Sportpassion galt dem Paddel- und Kanusport. Der Verlag bescheinigte Duysen später, er habe sich "als glänzender Stilist und zugkräftiger Leitartikler und Journalist" bewährt, sodass "die Zeitschrift einen überraschend schnellen und ungeahnt grossen Aufschwung nahm."
Die Inflation brachte die Zeitschrift in finanzielle Bedrängnis und der pötzliche Tod Konrad Hanfs Anfang Mai 1922 hatte die Einstellung der Hanseatischen Sportzeitung zur Folge. Hanf hatte keine Erben, die den Verlag in seinem Sinne weiterführen wollten. Duysen hatte sich als Sportjournalist einen erstklassigen Ruf erworben und so fand er schnell ein neues Betätigungsfeld beim Sportteil des Hamburger Fremdenblattes, eines der auflagenstärksten Hamburger Zeitungen der 1920er Jahre. Hier schrieb er regelmäßig über Fußballereignisse und gelegentlich auch über andere Sportarten. Literarische Arbeiten veröffentlichte er in jenen Jahren so gut wie gar nicht mehr, 1928 gab er ein Buch über die Olympiade in Amsterdam heraus. Die Hanseatische Sportzeitung belebte er dann 1931 neu, die er als Herausgeber selbst finanzierte und als Redaktionsleiter redigierte.
In der Rubrik "Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt" nahm er regelmäßig Stellung zu sportpolitischen Themen. Auch im Sport verhärteten sich die Lager zunehmend gegenüber ihren poltischen Opponenten, das Klima zwischen den (partei-)politischen Arbeitersportvereinen, Betriebssportvereinen und den unabhängigen Sportvereinen wurde rauher und unversöhnlicher. Duysen war und blieb ein Verfechter der freien, neutralen Sportvereine, die mit keiner Partei oder politischen Richtung verbunden waren. Das war eine seiner Überzeugungen, für die er kämpfte.
4. Wehrsport und Hermann Okrass
Am 11. Februar 1933 kam es bei einem Treffen von Vertretern des Norddeutschen Sport-Verbandes zu einer heftigen Auseinandersetzung über den Wehrsport. Ort der Versammlung war das Paulaner Thomasbräu in der Steinstraße. Mit einer verpflichtenden Einführung des Wehrsports in alle Hamburger Sportvereine wollten sich die Nationalsozialisten und die mit ihnen in den Vereinen kooperierenden nationalistischen Kreise den Zugriff auf die Fußballclubs verschaffen. Paul Duysen war in der Versammlung zugegen, in der es zu hitzigen und lauten Auseinandersetzungen gekommen sein soll. In der folgenden Ausgabe seiner Hanseatischen Sportzeitung bezog er Stellung gegen die Einführung des Wehrsportes. Er befürchtete das Ende der freien, politisch neutralen Fußballvereine. Man gehe "unruhigen und kampfreichen Zeiten im Sport entgegen" und müsse um die unpolitischen Sportvereine wieder kämpfen, so Duysen. Die Gleichschaltung der Sportvereine zeichnete sich bereits ab. Seine kämpferische Kritik am Wehrsport verband er mit einem Wahlaufruf für die anstehende Reichstagswahl. "Wer den freien Sport liebt, darf also am 5. März keiner Rechtspartei seine Stimme geben."
Die Rechtspresse blies zum Angriff auf Duysen. Die Hamburger Nachrichten polemisierten gegen ihn und in der nationalsozialistischen Gauzeitung Hamburger Tageblatt übernahm es Hermann Okrass, einer der rührigsten NS-Pressevertreter in Hamburg, einen spöttisch-zynischen Artikel gegen Paul Duysen zu veröffentlichen. Darin bezeichnet er ihn süffisant als "den letzten Recken des verröchelnden Liberalismus". Seine Hanseatische Sportzeitung (H.S.Z.) habe Duysen, so Okrass, "bewußt und eindeutig gegen den Nationalsozialismus" gestellt. "Er will den Kampf, er soll ihn haben", drohte Okrass und prophezeite: "Im Hause der nationalsozialistischen Sportler [...] wird jedenfalls die H.S.Z. in Zukunft nicht zu finden sein." Paul Duysen knickte nicht ein sondern konterte den Attacken Ende Februar 1933 noch souverän. Die "persönlichen Anrempelungen" würden ihn "kalt" lassen und er erspare sich "auf diesen Teil der Kritik in Selbstachtung jede Replik." Erneut forderte er den Erhalt der freien, politisch-neutralen Sportvereine und wandte sich dagegen, ihnen "Kautelen" aufzuerlegen. In den folgenden Monaten wurde es stiller in der Hanseatischen Sportzeitung. Sie begann, ums Überleben zu kämpfen.
5. SA-Hetze und Denunziation durch Otto Harder
Im Sommer 1934 organisierte die Hamburger SA am HSV-Stadion am Rothenbaum eine Jagd auf Paul Duysen. Überall auf den Zuwegen und an den Ausgängen des Geländes wurden SA-Männer postiert, um ihn aufzulauern und abzufangen. Es gibt Hinweise, dass auch Hermann Okrass beteiligt gewesen sein könnte, der es übernommen hatte, den ihm bekannten Duysen den SA-Leuten zu bezeichnen. Ob die "SA mit mehreren Hundert Mann" zu dieser "Menschenjagd" aufmaschierte, wie später berichtet wurde, lässt sich im Nachhinein nicht mehr überprüfen. Es wäre ihm auf jeden Fall schlecht ergangen, hätten die SA-Leute ihn ergriffen. Er wurde jedoch gewarnt und konnte rechtzeitig verschwinden. Auch wenn Duysen unbehelligt blieb, so gaben ihm die Nazis mit dieser Aktion unmissverständlich zu verstehen, dass es im gleichgeschalteten Vereinsfußball Hamburgs für einen freiheitlich denkenden Menschen wie ihn keinen Platz mehr gab. Das, was ihm Okrass im Februar 1933 bereits prophezeit hatte, trat nun ein. Duysen musste seine Hanseatische Sportzeitung einstellen, da durch Boykottmaßnahmen und Schikanen seitens des NS-Regimes die Auflagenhöhe auf ein unwirtschaftliches Niveau herabgesunken war.
Ein Jahr später erfolgte der nächste Schlag gegen ihn. Der mit Paul Duysen vormals befreundete Fussballspieler Otto (Tull) Harder, einer der bekanntesten HSV-Spieler der 1920er Jahre, denunzierte Duysen wegen Führerbeleidigung. Zwischen den beiden bestand vor 1933 eine Freundschaft. Noch im Februar 1933 wurde über den Rundfunksender der Norag ein Fußballgespräch der zwei mit dem Fußballer Adolf Jäger gesendet, und einige Jahre zuvor hatte Duysen die erste Biografie über den Mittelfeldstürmer Harder veröffentlicht. Der soll nun im November 1935 am "Biertisch" in Gegenwart Harders gesagt haben, Hitler spreche von Frieden, aber rüste für einen Krieg. Harder war seit September 1932 NSDAP-Mitglied, trat im Mai 1933 in die SS ein und tat ab 1939 in unterschiedlichen Konzentrationslagern Dienst, unter anderem im KZ-Neuengamme. In einem öffentlichen Lokal wurde Duysen am 19. November 1935 von der Gestapo aufgrund der Denunziation Harders verhaftet. Es folgten einige Tage Haft. Die "Führerbeleidgung" konnte letztendlich nicht bewiesen werden und es kam zu keiner Verurteilung. Dennoch hatte der Vorfall bittere Konsequenzen. Wenig später wurde er vom Hamburger Fremdenblatt als Sportredakteur wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen und hatte fortan kein regelmäßiges Einkommen mehr.
6. Gestapo-Haft und Verurteilung aufgrund § 175
Am 13. April 1937 wurde Paul Duysen von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen. Die Hamburger Oberstaatsanwaltschaft beschuldigte ihn, "zu Hamburg und an anderen Orten in den Jahren 1920 bis 1936 fortgesetzt handelnd mit anderen Männern Unzucht beziehungsweise widernatürliche Unzucht getrieben zu haben." Die Staatsanwaltschaft sah "Fluchtverdacht" gegeben und war um eine schnelle Anklageerhebung bemüht, um Duysen in einem "abgekürzten Verfahren vor dem Schöffengericht aburteilen zu lassen."
Als Duysen am 28. April 1937 vor den Richter geführt wurde, hatte er zwei Wochen Gestapo-Schutzhaft hinter sich. Seine Ehefrau Paula hatte ihn am dritten Tag seiner Schutzhaft versucht zu besuchen. Sie hatte zwar Zutritt in das Gefängnis erhalten, war jedoch nicht zu ihm durchgelassen worden. Tief besorgt von den Zuständen, denen sie dort begegnete, hatte sie einen verzweifelten Brief an die "sehr verehrte Geheime Staatspolizei" ins Stadthaus geschickt. "Auf mich hat [...] dieses alles heute einen derartigen Eindruck gemacht", schreibt sie über ihre Erlebnisse in der Haftanstalt, "dass ich das kaum wieder geben kann. [...] Wer weiss, in welcher Verfassung ich meinen Mann wiederbekomme. Krank und mit den Nerven zerrüttet." Nach der Haftzeit bei der Gestapo bekannte Paul Duysen unumwunden vor Gericht, seine "aufgeführten Theaterstücke beschäftigen sich alle mehr oder weniger mit homosexuellen Dingen" und seien "dichterisch verkleidete Selbstbekenntnisse.“ Duysen gab homoerotische beziehungsweise homosexuelle Kontakte zu. Der vorgeführte Belastungszeuge war ebenfalls wegen "unnatürlicher Unzucht" zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und gab wie Duysen unter dem Druck des NS-Repressionssystems die vom Gericht erwünschten Erklärungen ab. Das Verhandlungprotokoll verzeichnet die Arten ihres Geschlechtsverkehrs inklusive Zeitpunkt der Ejakulation. Paul Duysen wurde zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
7. Arbeitsverbot
Um den Oktober 1937 wurde durch den Hamburger Landesverband des Reichsverbandes der Deutschen Presse (RDP), auch als Reichspressekammer bezeichnet, beim Pressebezirksgericht ein „ehrengerichtliches Verfahren gegen den Schriftleiter Paul Duysen [...] mit dem Ziel der Löschung in der Berufsliste beantragt.“ Die Staatsanwaltschaft Hamburg hatte die RDP zuvor von der Verurteilung Duysens wegen „Unzucht“ bzw. homosexueller Betätigungen informiert, die ihrerseits umgehend beim Pressebezirksgericht juristische Schritte zum Ausstoß Duysens aus der RDP einleitete. Der Leiter des Hamburger Landesverbandes des RDP hieß Hermann Okrass. Der Bitte des Pressegerichts von Anfang November 1937 um Übersendung der Prozeßakten kam die Staatsanwaltschaft ohne Verzögerung nach mit der Bemerkung, „Inhalt d[er] Akten kann in der nächste[n] öffentlichen Verh[an]dl[ung] gegen den Besch[uldigten] vorgetragen werden.“ Als Paul Duysen wenig später vor das öffentlich tagende Pressebezirksgericht im Justizgebäude am Sievekingplatz treten musste, wo über ihn ein erniedrigendes „Ehrengericht“ abgehalten wurde, waren die Prozessprotokolle aus dem § 175-Verfahren mit den Eigen- und Zeugenaussagen zu seinem homosexuellen Intimleben Hauptverhandlungsgegenstand. Zum Januar 1938 wurde Paul Duysen aus der Reichspressekammer wegen "politischer Unzuverlässigkeit und ungebührlichen Lebenswandel" ausgeschlossen. Eine Tätigkeit als Redakteur oder Journalist war ihm dadurch nicht mehr möglich.
Um seinen Lebensunterhalt fortan als freier Schriftsteller zu bestreiten, beantragte er die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (RSK). Für Berufsschriftsteller war die RSK-Mitgliedschaft eine Voraussetzung, um überhaupt Texte veröffentlichen zu dürfen. Seine Bemühungen waren vergeblich. Eine intern geführte Liste in der RSK mit den Namen ausgeschlossener Mitglieder und abgelehnter Mitgliedsanträge verzeichnet zwei abgelehnte Aufnahmeanträge von Paul Duysen. Ihm wurde mit Verweis auf seine Vorstrafe erstmals am 29. Juni 1938 die Mitgliedschaft in der RSK verwehrt.
Im Oktober 1940 starb seine Mutter, die seit Jahren mit ihm und Ehefrau Paula in einer Wohnung lebte. Mit dem Ende ihrer schmalen Rentenauszahlung verlor der gemeinsame Haushalt die einzige regelmäßige Geldeinnahme. Paul Duysen erhielt vom Arbeitsamt keine Unterstützung und bis 1945 kein einziges Stellenangebot. Ehefrau Paula war an Tbc erkrankt und konnte nur sehr unregelmäßig bisweilen gar nicht arbeiten. Paul Duysen versuchte im November 1940 erneut in die RSK aufgenommen zu werden. Die Kulturkammerbürokraten in Berlin zogen zur Prüfung seines Aufnahmeantrages den NS-Überwachungsapparat in Hamburg hinzu. Im November 1940 meldete die Hamburger Gauleitung dorthin, „nach den jüngsten Ermittlungen verhält sich D[uysen] gegenüber [...] Pol[itischen] Leitern einwandfrei.“ Seine Loyalität sei jedoch „nur als äusserlich anzusehen“, seine „innerliche Haltung ist nach wie vor undurchsichtig“, außerdem sei er "vor der Machtergreifung aktiver politischer Gegner der NSDAP gewesen." Auch die für Duysens Hamburger Stadtteil zuständige NSDAP-Kreisleitung unter Heinz Morisse befürwortete eine Aufnahme in die RSK nicht. Am 14. Januar 1941 wurde Paul Duysens Aufnahmeantrag erneut abgelehnt.
8. Paul oder Paula oder Tyll oder Tylla
Am 28. Februar 1941 bat Paula Duysen die RSK per Brief um Aufnahme und keine zwei Wochen später lag ihr Aufnahmeantrag in Berlin zur Prüfung vor. Dort schaltete die Abteilung Besondere Kulturangelegenheiten (BeKa) im Propagandaministerium zunächst die Überwachungsinstanzen des NS-Staates ein. Aus der Gauleitung in Hamburg antwortete Gaupersonalamtsleiter Heinrich August nach Berlin, da Paula Duysen "weltanschaulich die gleiche Einstellung besitzt wie der Ehemann, kann auch ihre Aufnahme nicht befürwortet werden." Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin äußerte ähnliche Vorbehalte. Es bestehen "auf Grund der politischen Haltung ihres Mannes Bedenken gegen ihre Aufnahme" in die RSK. Dieser sei "vor der Machtübernahme aktiver Gegener der NSDAP" gewesen und habe dies "auch durch seine schriftstellerische Tätigkeit zum Ausdruck" gebracht. Außerdem sei zu erwarten, dass "der Ehemann unter dem Namen seiner Frau eigene Arbeiten veröffentlichen wird." Eine Aufnahme Paula Duysens in die RSK wurde abgelehnt. Es wurde ihr jedoch gestattet, einzelne Werke mit sogenannten "Befreiungsscheinen" zu veröffentlichen, die sie für jedes Buch einzeln beantragen musste.
Das Pseudonym "Tyll Uller" wurde ihr von der RSK nicht gestattet, da es Frauen grundsätzlich nicht erlaubt war, unter männlichen Decknamen zu publizieren. Postwendend wählte sie stattdessen "Tylla Uller" als Künstlername, der von der RSK anstandslos akzeptiert wurde. Das Ehepaar konnte mit Befreiungsscheinen, die von der RSK auf Paula Duysen ausgestellt wurden, drei Werke von Paul Duysen bei Verlagen unterbringen. Mit der Biografie über Friedrich List, die 1943 in zweiter Auflage herauskam, erhielten sie sogar Tantieme, mit denen sie zumindest kurzfristig ihr sehr bescheidenes Leben finanzieren konnten. Die Bücher erschienen alle unter "T. Uller" und ließen damit absichtlich offen, ob sie von "Tylla" und doch von "Tyll" verfasst wurden. In den Büchern finden sich keinerlei Informationen über Autor oder Autorin.
Mit dem Buch über Friedrich List zog Paula Duysen die Aufmerksamkeit der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums (PPK) auf sich. Möglicherweise war es der im Buch gezogene Vergleich des von Friedrich List 1833 vorgeschlagenen "deutschen Eisenbahnnetzes" mit der "Reichsautobahn Adolf Hitlers", mit dem Duysen das "überragende Genie" Lists und dessen "unfaßbare Weitsicht" verdeutlichen wollte, was von der PPK möglicherweise als Relativierung der Größe und des Genies Adolf Hitlers gewertet wurde. Die RSK gab der Prüfungskommission die Anregung, sie möge das Buch auf Hinweise prüfen, ob nicht Paula sondern Paul Duysen es verfasst hätte. Die Angelegenheit blieb ohne Folgen, jedoch standen Paul und Paula Duysen unter ständiger Beobachtung.
Während der schweren Luftangriffe im Sommer 1943 wurde ihre Wohnung in Rothenburgsort in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli völlig zerstört und sie verloren ihr gesamtes Hab und Gut, beziehungsweise was davon noch übrig war. Wegen des Arbeitsverbotes Paul Duysens hatte das Ehepaar einiges versetzen müssen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Nach der Totalausbombung wurden sie in die Nähe von Detmold evakuiert. Mitte März 1945 wurde Duysen als Infanterieschütze in eine Volkssturmeinheit eingereiht. Ende Juli 1945 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.
9. Kampf um Anerkennung als Verfolgter des NS
Für die erlittene Verfolgung, berufliche Ächtung und die dauernden Schikanen durch SA, RSK, Gestapo und anderen Stellen des NS-Unterdrückungsapparates konnte Duysen nach 1945 keine Belege vorzeigen. Aber genau das wollten die Wiedergutmachungsämter nach 1945 von ihm sehen. Über eine Jagd, wie sie 1934 von der Hamburger SA auf ihn organisiert wurde, hat es eh keine Unterlagen gegeben. Und nach dem Totalverlust seiner Wohnung 1943 hatte er nicht mal mehr ein Schulzeugnis. Eine Gefängnishaft wegen homosexueller "Unzucht" wurde nach 1945 nicht als Verfolgung anerkannt, auch wenn sie im Falle Duysens den Ausschluss aus der RKK und damit ein Berufsverbot zur Folge hatte. Sexuelle Handlungen zwischen Männern blieb nach 1945 Straftatbestand und der § 175 in Kraft. Um seine Ansprüche durchzusetzen, musste Paul Duysen seine Verurteilung wegen Vergehens gegen § 175 als politisch motiviert darstellen. "Natürlich waren alle Gestapo-Geständnisse erpresst und unwahr", schrieb er an den Wiedergutmachungsausschuß bei der Kreisverwaltung Detmold, sie entstanden "unter schweren Drohungen". Und seine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe in einem "phantastischen" Gerichtsverfahren habe politische Motive gehabt.
Das § 175-Gerichtsverfahren geriet jedoch in den Fokus der Juristen des Ausschusses, die seinen Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgter bearbeiteten. Sie seien "[...] befangen in Vorurteilen", merkte Duysen nach einer persönlichen Aussprache mit den Ausschußmitgliedern an. Einer der Juristen blieb - auf die Verurteilung wegen homosexueller Unzucht gestoßen - "an diesem 'Problem' haften", so Duysen. "Als Jurist kam er ja darüber nicht hinweg". Die Unterredung mit den Ausschußmitgliedern habe er "verflucht nahe einem Verhör" empfunden.
Die Stimmung in der Detmolder Kreisverwaltung kippte und richtete sich gegen Paul Duysen. Als homosexuell veranlagter Mann blieb er stigmatisiert. "Der Mann ist kein politisch Verfolgter, er ist ein aufgeblasener Frosch", notierte ein Mitarbeiter des Landkreises 1946. Für die Klärung, ob der § 175-Prozess gegen Duysen im Jahre 1937 von der NS-Justiz wegen politischer oder doch unzüchtiger Vergehen geführt wurde, zogen die Verwaltungsjuristen im Juli 1946 einen Nervenfacharzt hinzu, der über Paul Duysen ein Gutachten erstellen sollte. Per Postkarte wurde er durch den Arzt zur Untersuchung vorgeladen. "Selbstverständlich gehe ich nicht zu ihm", schrieb er dem Ausschuß und bezeichnete die "offene Karte" des Arztes als "Kränkung". Es folgte noch eine mündliche Aufforderung des Nervenarztes, der Duysen nicht nachkam, dann wurde kurzerhand mit Verweis auf die verweigerte Untersuchung entschieden, dass er nicht als "Opfer des Faschismus" anerkannt werde. Als Duysen dem Ausschuß drei Jahre später neues Material vorlegte, das seine Verfolgung durch den NS dokumentierte, wurde die Berücksichtigung dieses Materials mit der Begründung abgelehnt, er verweigere sich einer "fachärztlichen Untersuchung".
9a. Rückkehr nach Hamburg
Ab dem 1. Oktober 1954 konnte Duysen zurück nach Hamburg. Er hätte bereits 1947 nach Hamburg übersiedeln dürfen, es fehlte ihm dafür jedoch das Geld. Hier rollte er sein Entschädigungsverfahren erneut auf. Die Beweislast lag jedoch noch immer bei ihm. Da er kein Mitglied in der RSK war, hatte er während des NS keine Bücher veröffentlichen dürfen. Trotzdem wollte das Amt für Wiedergutmachung von ihm Buchtitel genannt haben, die von der NS-Zensur verboten wurden plus einer Berechnung dadurch entstandener Honorarausfälle. Ein bürokratisches Prozedere, das in keinster Weise der Verbotspraxis der NS-Schrifttumspolitik Rechnung trug.
Der ehemalige Redakteur des Hamburger Fremdenblattes Georg Meurer, mittlerweile war er für das Hamburger Abendblatt tätig, bestätigte dem Amt für Wiedergutmachung, er habe 1935 mit Duysen "auf Druck der NSDAP das Mitarbeiterverhältnis [...] fristlos lösen" müssen. Auch gab er eine Schilderung über das SA-"Rollkommando" wieder, das 1934 um das HSV-Stadion am Rothenbaum die Verfolgung auf Duysen inszenierte. Vom Verlag Broschek ging ebenfalls ein Schreiben an die Behörde, das dem ehemaligen Mitarbeiter einen Verdienstausfall wegen fristloser Kündigung bestätigte. Nicht sehr weit lehnte sich der ehemalige Kollege Hans Harbeck aus dem Fenster, der ebenfalls vom Amt für Wiedergutmachung befragt wurde. Er wisse "aus eigener Anschauung und Erfahrung nichts Stichhaltiges über Art und Umfang seiner 'Verfolgung'." Im Oktober 1956 sprach die Stadt Hamburg Paul Duysen endlich die Anerkennung aus, dass er "aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus einen Einkommensschaden erlitten" habe. In der Folge wurde zwischen Duysen und der Stadt ein Vergleich geschlossen und er erhielt fortan eine kleine monatliche Rentenzahlung, die nach seinem Tod auch Paula Duysen bis zu ihrem Tode 1983 als Witwenrente weiterhin ausgezahlt bekam.
Als Sportjournalist oder Schriftsteller konnte Duysen nie mehr Fuß fassen. Einerseits war Duysen als verurteilter § 175-Straftäter stigmatisiert - der Paragraph und entsprechende Urteile der NS-Justiz blieben nach 1945 unverändert in Kraft. Andererseits erhielt er für einen Buchverlag von der britischen Militärregierung zwar eine Lizenz, konnte seine Pläne aufgrund Geldmangels jedoch nie verwirklichen. Sein Lizenzantrag für eine neue Sportzeitschrift wurde abgelehnt.
Otto Harder starb 1956. Die HSV-Vereinsnachrichten schrieben anläßlich seines Todes: "Er war auch stets ein guter Freund und treuer Kamerad." Paul Duysen hatte über Harder zuvor geäußert, dieser habe mit seiner Denunziation einen "Freundschaftsverrat" gegen ihn begangen. Hermann Okrass, einer der lautesten Propagandisten in der Hamburger NS-Presse, wurde nach 1945 von einem Spruchgericht zur Zahlung von 6000 Reichsmark verurteilt und bereits 1949 von einem Hamburger Entnazifizierungsausschuß in die Kategorie IV - Mitläufer - eingestuft.