Hermann Krieger
Von Torben Dannhauer
Der Schriftsteller Hermann Krieger war eine vielschichtige, vielseitige, widersprüchliche und keineswegs unproblematische Persönlichkeit. Als Hermann Krüger wurde er 1866 in Bielefeld in eine Fabrikarbeiterehe geboren. Nach einer Schlosserlehre verließ er das erdrückend empfundene Elternhaus, war kurzzeitig Seemann und Straßenkehrer, zog nach Berlin-Friedenau und versuchte sich als Kunstmaler. Er begann zu schreiben und siedelte nach Hamburg über, wo er als Journalist und Schriftsteller arbeitete.
1. Herkunft und Wanderjahre
Aufgrund ihrer Schwangerschaft sahen sich die Arbeiterin Marie Schönberg und der Schlosser eines Bielefelder Industriewerks Julius Krüger zur Heirat gezwungen. Am 31. Mai 1866 kam ihr erstes Kind auf die Welt, das den Rufnamen Hermann erhielt. Die Ehe seiner Eltern beschreibt er später als unglückliche Zweckehe, das Elternhaus als lieblos und bedrückend.
Nach Volksschule und Schlosserlehre verlässt der Sohn Bielefeld und das Elternhaus. Er zieht umher, heuert zunächst als einfacher Seemann an. Möglicherweise wegen seines übernervösen Charakters bleibt es bei einer einzigen Fahrt. Es verschlägt ihn nach Hamburg und er arbeitet als Straßenkehrer. Hier lernt er Christine Pape kennen, die Tochter des Kutschers von Sophie und Carl Laeisz. Zur Jahreswende 1888/89 verloben sie sich. Bevor es jedoch zur Hochzeit kommt, zieht es ihn nach Berlin.
2. Künstlerkolonie Berlin-Friedenau
In Berlin-Friedenau bezog er ein Atelier und nannte sich in Hermann Krieger um. Er wollte unbedingt Künstler werden und begann zu malen. Der umherstreunende Literat Peter Hille wohnte zeitweilig unter seinem Atelierdach. Er übte nachhaltigen Einfluss auf Kriegers späteres schriftstellerisches Werk aus.
Krieger hatte Kontakt in den Friedrichshagener Dichterkreis. Dort traf er auf Otto Julius Bierbaum und die Brüder Hart. Mit einer weiteren Größe damaligen literarischen Lebens kam er in Berührung: Wilhelm Bölsche. Der wurde mit seinem Bestseller Das Liebesleben in der Natur eines der „wirkungsvollsten deutschen Populärdarwinisten“ (Joachim Radkau). Spuren davon werden sich später in Kriegers Büchern finden.
Als Kunstmaler hatte Krieger keinen Erfolg. Kein einziges Bild von ihm ist überliefert. In Berlin begann er sich auch bereits literarisch zu betätigen. Ein zweites brotloses Standbein.
Gegen 1896 kehrte er nach Hamburg zurück, kreuzt in abgerissener Klamotte in Ottensen bei Detlev von Liliencron auf. Er beginnt für die Neue Hamburger Zeitung zu schreiben und veröffentlicht das Versepos Willy Meier, eine Satire auf die Künstlerkommune in Berlin-Friedenau. Christine Pape und er heiraten erst 1905.
3. Schrebergarten
Die Handlung seines humorvollen Debütromans Familie Hahnekamp entspinnt sich in Hamburg-Alsterdorf um 1910 und entführt uns in eine fiktive Kleingartenkolonie. Dort erleben wir den beziehungsreichen Mikrokosmos der benachbarten Parzellenpächter. Der versoffene Kutscher Koll Meier oder die Hillebille mit ihrem Messer. Das Buch erschien in jenem Jahr, als 1912 die erste Hamburger Kleingartensiedlung gegründet wurde. Im Mittelpunkt stehen die sechsköpfige Familie Hahnekamp und deren Gartennachbar Schurig. Letzterer ist eine literarische Reminiszenz an Moritz Schreber. Er gibt den Hahnekamps als kundiger Kleingärtner und Imker so manchen Tipp. Und da Schurig wie Schreber aus Sachsen stammt, sächselt der sich in liebenswürdiger Weise durch den Roman.
In Hamburg war Krieger mit diesem Buch seitdem als "Dichter der Hahnekamps" bekannt und unter Imkern als sachkundiger Kenner des Biens. Eine morderne Neuausgabe mit umfangreicher Biografie Hermann Kriegers gibt es hier.
Hermann Krieger träumte von einer eigenen Parzelle. Er war ein Verfechter des Kleingartengedankens, den er bereits einige Jahre vor Gründung der ersten Hamburger Schreberkolonie Doppeleiche engagiert propagierte. „Unter dem Namen Dr. Schrebers sollen die Laubengärten siegen“, schrieb er 1909. Im gleichen Jahr blickte er nach Berlin, wo Stadtbewohner sich auf den Rieselwiesen in Pachtgärten „weit draußen vor den Toren der Stadt angesiedelt und eine bessere, gesündere, freiere Lebenshaltung gewonnen“ haben.
4. Knicklandschaft
In unzähligen Schriften nahm Krieger die Leserschaft mit auf seine Streifzüge in die Knicklandschaft und brachte ihnen die Phänologie des Nordens näher. Er war ein Literat der Knicks. "Hier draußen sind die Nächste Feste", frohlockte er und saß und schlief mit seiner Ehefrau in der selbst errichteten "Laube" aus Zweigen mit Blätterdach und Moosbett. "Mitten drinnen in der Knickwelt" fühlte er sich zu Hause. Fernab seiner Wohnung in der Großstadt. Unterm Sternenhimmel sinnierte er dort auch schon mal über Marsbewohner.
In der Natur sah Krieger etwas heiliges, da war er ganz Kind seiner Zeit. Daher haben seine Sätze mitunter eine religiösen Tonlage: "Die Welt ringsum ist ein stiller Tempel, ein freundliches, blumengeschmücktes Heiligtum. Wie eine rieselnde Flamme steht der Goldregen im Knick". Nach dem Ersten Weltkrieg wird er diese neomythisch-religiöse Naturverklärung in ein völkisches, neogermanisches und antisemitisches Weltbild setzen (siehe unten Not-Wende).
Bis dahin waren es romantisierende Naturschilderungen Norddeutschlands, in denen die Leserschaft viel lernte über Pflanzen und Getier der Knicks. Immer wieder jedoch wird diese Idylle erschüttert. Auch das ist typisch für Krieger. "Finken und Drosseln locken fröhlich in den Beerenbüschen. In der Ferne fallen schnell hinter einander ein paar Flintenschüsse." Oder der Lazarettzug verwundeter Soldaten, der in einer Landschaftsskizze aus dem Jahre 1915 plötzlich rauchend daherkommt und die Naturidylle mit der bitteren Realität des Krieges konfrontiert.
Ludwig Beil – angeblich Hamburgs einziger Bohemien der 1920er – schrieb über Hermann Krieger, er würde "im Kribbeln und Krabbeln der Natur mitkrabbeln". Krieger fasste das als bösen Verriss seiner Literatur auf, das war von Beil auch so gemeint, aber eigentlich war es das nicht. Der Autodidakt Krieger hat für seine literarisch-naturkundlichen Schriften über Flora, Fauna und Vogelwelt der Norddeutschen Knicklandschaft auch von Experten viel Lob erhalten.
5. Imker und Guerilla-Gärtner
Zur Natur hatte Krieger ein geradezu transzendentales Verhältnis. Irgendwo Richtung Niendorf imkerte er wild an einem Waldrand, vertiefte sich in seine Bienenbeuten und ergrübelte die naturphilosophische Betrachtung Imma, eine Bienenmär aus Imkerland, die der Hamburger Schriftsteller Hans Leip las und meinte, die Biene Maja könne einpacken. Der Thüringer Imkerbote und andere Imkerfachblätter empfahlen Jungimkern das Lesen von Imma oder Familie Hahnekamp als lehrreich für die damals moderne Magazinimkerei.
Und weil alle Erlösung aus der Natur kommt, das Ehepaar Krieger eh beständig bittere Not litt, praktizierte Hermann Krieger eine Frühform des Urban-Gardening zur natürlichen Selbstversorgung irgendwo am Knickrand nördlich Hamburgs. Unter einem selbstgefertigten Blätterdach mit Moosbett verbrachte er dort auch so einige Nächte. Der waldversessene US-Naturphilosoph Henry T. Thoreau und sein Buch Walden oder Leben in den Wäldern hatte es ihm ganz besonders angetan.
6. Antimodernist und Fortschrittsskeptiker
Als urbane Mietnomaden und Trockenwohner zogen Hermann und Chrsitine Krieger seit den 1910er Jahren von einer Wohnung zur nächsten. Die Wohnungsnot in den Großstädten wie Hamburg war gravierend. Mit der Industriealisierung herrschte dort räumliche Enge, Lärm und schlechte Luft. Alkoholismus und Tuberkulose sah Krieger wie manch anderer Zeitgenosse als Folgeerscheinung der rasant wachsenden Städte. Mietskasernen und Autoverkehr wurden von ihm regelrecht verflucht, das Leben in der Stadt empfand er als permanente Qual. Das Ehepaar lebte auch in den 1920er Jahren in einer dauerhaften Notlage - Nahrung und Kleidung konnten nur unzureichend gekauft, Mietzahlungen und Arztrechnungen oft nicht beglichen werden.
Die Autopest ist eine Schrift Kriegers gegen die zunehmende „Auto-Dichte“ und gegen die ansteigende Zahl der „Auto-Opfer“ und der „Auto-Totschläge“ in den Städten. Das war noch harmlos. In den Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg sah er "Satan Usurpator" heraufziehen. Er verfing sich mehr und mehr in einer irrational-apokalyptischen Weltdeutung.
Sein Roman über das Leben in einem Etagenhaus mit dem Titel Nr. 13! blieb Schubladenmanuskript und wurde nie veröffentlicht. In Briefen an seinen Freund Georg Michael Conrad beschreibt er den Lärm, der in dem hellhörigen Haus, in dem er wohnte, an seinen Nerven zerrte. Nachbarn mit alten Gasthausphonografen und ein von ihm genannter "Musiksäugling" in der Wohnung über sich, der als arbeitsloser Anstreicher Gastwirt werden wollte und stundenlang Klavier übte, um seine zukünftigen Schankgäste zu unterhalten.
7. Neogermanentum und Antisemitismus
Krieger stellt sich mit seinem Buch Not-Wende in die Reihe der Negativpropheten, die nach dem Ersten Weltkrieg und in der Inflationszeit massenweise auftraten und ihre erwartungsbeängstigenden Endzeitszenarien verkündeten. Der Begriff "Not-Wende" war bereits im Umlauf. Auch der Inflationsheilige Friedrich Much-Lamberty predigte nach dem Ersten Weltkrieg von der „Not-Zeit“ und der „Notwende“.
Die Not-Wende ist ein Werk, in dem Krieger alle möglichen Deutungs- und Erklärungsansätze um ein Krisenparadigma herumgruppiert. Über weite Strecken herrscht darin eine schwer nachvollziehbare Gedankenwelt aus Neogermanentum, aus „Germanennot des Weltkrieges“, rassenhygienischen Ansätzen, Antisemitismus, Antimonetarismus, sowie aus Anklagen gegen Unterdrückung, Versklavung, Verdummung und Zinssklaverei. Krieger macht das Judentum zum Sündenbock seiner eigenen Existenzkrise, das Germanentum war sein Heilsversprechen.
Zentrales Element in der Weltdeutung der Not-Wende ist "Satan Usurpator", eine von Krieger erdachte apokalyptische Gottheit innerhalb einer geschichtsmorphologischen Wellen-Theorie. Demnach mündet der Zusammenbruch einer Kultur in eine neue Blütezeit. Der Abstieg führt zunächst zur Herrschaft von „Satan Usurpator“, die für einen erneuten Aufstieg eine Grundvoraussetzung ist. Dieses zyklische Modell war für ihn ein kosmisches Naturgesetz. Hermann Krieger verfing sich Anfang der 1920er Jahre immer tiefer in diese verquere Gedankenwelt.
Sein Buch Not-Wende ist zweifellos ein krud-skuriler Versuch einer umfassenden Weltdeutung, die den Definitionsmerkmalen einer Verschwörungstheorie oder Verschwörungserzählung gänzlich erfüllt. Dass es einen langen Atem braucht, um das Buch lesend zu bewältigen und zu ertragen, sei nur am Rande erwähnt. Ein zeitgenössischer Kritiker urteilte, man werde "schwer fertig mit dem Buch. Auf den ersten Anhieb gelingt es wohl überhaupt keinem."
8. Ehrenrente und ab nach Malente
Festakt zum Jahrestag der Weimarer Verfassung in der Musikhalle (heute: Laeisz-Halle) am 11. August 1930. Der Hamburger Senat gab feierlich die Vergabe einer lebenslangen Ehrenrente an Hermann Krieger und an den Impressionisten Arthur Siebelist bekannt. Kriegers alter Freund, der Staatsrat Alexander Zinn, führte die Geschäfte der Kunstpflegekommission des Hamburger Senats und besaß großen Einfluss auf kulturpolitische Angelegenheit in der Hansestadt. Er war im Rathaus maßgeblich am Zustandekommen der Ehrenrente beteiligt. Heute würde ein ähnlicher Vorgang wahrscheinlich vom Geruch der Korruption umgeben sein. Jedoch kam auch aus der freien Kulturszene Hamburgs einige Unterstützung. Fürsprache einer städtischen Hilfe Kriegers kamen vom Schriftsteller und Grafiker Hans Leip, vom Lyriker Carl Albert Lange oder vom Journalisten Erich Lüth.
Die drückende Enge der präkeren Lebensverhältnisse, in denen er seit Kindesbeinen an lebte, waren damit unvermutet beendet. Es gibt nur wenige schriftliche Zeugnisse aus seinem Leben nach 1930. Sie zeugen von einem ausgewechselten Hermann Krieger. Keine Spur von Gram, Hass und Schuldzuschreibung oder von apokalyptischen Weltentwürfen und Erwartung eines endzeitlichen Satan Usurpators. Armut und Perspektivlosigkeit verändern Menschen. Die meiste Zeit ihres Lebens hatten Hermann und Christine Krieger in bitterster Armut verbracht. Die sogenannten Goldenen Zwanziger waren für den Schriftsteller und seine Frau bleischwere Notjahre gewesen. Im August 1930 atmeten sie auf. Statt Satan Usurpator erschien ihnen die Befreiung in Gestalt einer soziale Absicherung durch eine sehr weltliche Rentenzahlung.
Mit den 3000 Reichsmark jährlicher Ehrenrente konnten sich Christine und Hermann Krieger in Malente ein kleines Grundstück kaufen. Darauf errichteten sie ein kleines Siedlerhaus. Den Grundriss zeichnete Hermann Krieger selbst. Er zog sich dorthin zurück, gärtnerte, imkerte und schrieb. Es entstanden Romane wie Die Bienen vom Höllenmoor. Sie blieben unveröffentlicht. Die Manuskripte seines literarischen Spätwerks gelten als verschollen. Hermann Krieger starb im Februar 1943. Seine Frau Christine wohnte bis zu ihrem Ableben im April 1951 in dem kleinen Siedlerhaus.