ChatGPT erklärt: Bombenkrieg
Ein Interview mit der KI
1. Hallo ChatGPT, erzähle vom Bombenkrieg
Wir treffen ChatGPT online und erwähnen, dass wir etwas über den Bombenkrieg während des Zweiten Weltkriegs erfahren möchten. Eine Antwort kommt prompt und wir gewinnen sofort den Eindruck, hier sitzen wir ausgewiesener Expertise gegenüber. Die Alliierten haben „massive Luftangriffe auf deutsche Städte und Industrieanlagen“ durchgeführt. Und dann erwähnt die KI noch ein paar Daten.
Da wir uns irgendwie sicher sind, dass die deutsche Luftwaffe am 1. September 1939 die polnische Stadt Wieluń zerbombt, im Mai 1940 die Innenstadt von Rotterdam platt gemacht und im November 1940 Coventry in Schutt und Asche gelegt hat, erhöhen wir die „Temperature“ unseres Interviewgegenübers von 0 auf 1 und stellen die Frage nochmal. Stimmungswandel. Die Antwort kommt ebenfalls prompt, lang und lässt ebenfalls keinen Raum für Zweifel. Der Bombenkrieg „begann im Jahr 1939 mit dem deutschen Angriff auf Polen und erreichte seinen Höhepunkt während der Luftangriffe auf britische Städte“.
Dann wird uns die Bombenoffensive der Alliierten ab 1942 gegen Deutschland erläutert, worauf die bemerkenswerte Aussage folgt: „Die Siemens AG geht etwa davon aus, dass zwischen 400.000 und 600.000 Menschen getötet wurden“. In welchem Zusammenhang denn die Siemens AG und die Ermittlung der Anzahl getöteter Menschen stehen, fragen wir nach. Das konnte die KI nicht beantworten. Es gebe keinen Zusammenhang.
2. Operation Mondscheinsonate
Wir wollen Genaueres über Bombenangriffe wissen und fragen nach der Operation Mondscheinsonate. Wir erhalten einen mittellangen Vortrag über ein britisches Desinformations- und Täuschungsmanöver im Vorfeld der alliierten Invasion Siziliens 1943. Da unser Gegenüber offenbar die Operation Mondscheinsonate mit der Operation Mincemeat verwechselt, versuchen wir es nochmals mit einer Temperaturerhöhung von 0 auf 1. Was uns jetzt als Antwort vorgelegt wird, lässt sich getrost als Rumstochern in der Historie bezeichnen. Historiker würden „vermuten“, dass es sich dabei um Teile „eines größeren Plans“ handelte, „um das Deutsche Reich voranzutreiben“. Die KI erzählt uns etwas von „Geheimdienstaktivitäten“ Deutschlands, die ganze Operation sei ein “rätselhafter Teil der deutschen Kriegsgeschichte während des Zweiten Weltkriegs“. Wir gewinnen den Eindruck, sie möchte ihre Wissenslücken verbergen, als sie anfügte: „Die genaue Natur und der Umfang der Operation sind nicht vollständig bekannt, da viele Dokumente und Berichte während des Krieges vernichtet wurden.“
Tatsächlich war die Operation Mondscheinsonate der Deckname für die Bombardierung der englischen Stadt Coventry in der Nacht zum 15. November 1940 durch die deutsche Luftwaffe. Rätselhaft ist das durchaus nicht, sondern wohl bekannt. Es wurden über 500 Tonnen Bomben und fast 900 sogenannte Brandschüttkästen abgeworfen. Schätzungsweise 568 Menschen starben und die St Michael’s Cathedral wurde mehr oder weniger komplett zerstört.
3. Operation Gomorrha und Kiew
Trotz aufdämmernden Zweifels an der Expertise unseres Gegenüber führen wir unser Interview fort und fragen nach der Operation Gomorrha. Die Antwort deckt sich etwa mit dem, was in fundierten Büchern und Aufsätzen darüber zu lesen ist. Soweit lässt sich auf der Sachebene nichts Gravierendes bemängeln, lediglich die Nennung von 42.600 Toten würden wir dann doch gerne etwas differenzieren. Diese Zahl ist weder richtig noch falsch. Richtig ist: man weiß es nicht genau. Die Schätzungen bewegen sich zwischen ca. 34.000 und 43.000 Tote.
Wir wechseln den Kriegsschauplatz und wollen wissen, warum bei den deutschen Bombenangriffen auf Minsk im Jahre 1940 so viele Menschen starben. Mit einer gewissen Bestimmtheit erhalten wir eine recht lange Antwort aus insgesamt fünf Punkten – strategische Bedeutung, unzureichender Schutz, Racheakt, Brandbomben und Massenpanik. Ohne hier auf die Punkte im Einzelnen einzugehen merken wir bloß an, es hat im Jahre 1940 keinen Bombenangriff auf Minsk gegeben.
4. War man vorbereitet?
Wir wollen besser verstehen, wie sich die Konfliktparteien vor 1939 auf einen möglichen Bombenkrieg vorbereitet hatten und fragen nach. Ja, die Nazis haben „Erfahrungen mit Luftangriffen während des Spanischen Bürgerkriegs gemacht“ und hätten den Bombenkrieg vorhergesehen. Wir fragen gezielt, was der Reichsluftschutzbund (RLB) war. Innerhalb einer Antwort erhalten wir die widersprüchlichen Angaben, der RLB sei „während des Zweiten Weltkriegs“ und im Jahre 1933 gegründet worden. Wir lassen das mal so stehen.
Die Antwort schwirrt jedoch auch von vielen anderen Ungenauigkeiten. Die KI berichtet, es habe eine „Kinderorganisation“ im RLB gegeben. Das stimmt so jedoch nicht ganz. Ja, Mädchen und Jungen des BDM und der HJ wurden regelmäßig zu den vielen Luftschutzübungen seit 1933 als Hilfssanitäterinnen oder Melder herangezogen. Es hat jedoch keine eigenständige Jugendsparte im RLB gegeben. Falsch ist auch die Aussage von ChatGTP, der „RLB war eine Gliederung der NSDAP“. Klar, der theoretische Unterbau der Organisation war mit der NS-Ideologie durchtränkt, jedoch unterstand sie unmittelbar Hermann Göring als Chef der Luftwaffe.
Wir fragen nach den Luftschutzvorbereitungen in Großbritannien und in der Sowjetunion. Hier scheint die KI aus einem unerschöpflichen Wissensschatz zu schöpfen und berichtet fast episch von den vielen Maßnahmen. Beide Länder seien sehr gut vorbereitet gewesen. Wir fragen, warum denn bei den Luftangriffen auf Kiew und Stalingrad so viele Zivilisten starben und erhalten zur Antwort: man war schlecht vorbereitet.
5. ChatGPT, wie stehst Du zum „Bombenholocaust“?
Rechtsextreme Gruppierungen versuchen seit Jahren die Erinnerung an die Toten des Luftangriffes auf Dresden vom Februar 1945 mit dem Slogan vom "Bombenholocaust" für ihr geschichts-revisionistisches Bild zu vereinnahmen. Wir fragen die KI, wann sich der "Bombenholocaust" ereignete. Dies ist eine der wenigen Momente, in dem sie uns positiv überrascht hat. Eindeutig und ausdrücklich weist uns ChatGPT darauf hin, dass der Begriff „Holocaust“ die von NS-Deutschland begangenen Verbrechen gegen Juden und andere Opfergruppen wie Sinti und Roma oder Homosexuelle verwendet wird und nicht auf das Geschehen des alliierten Bombenkrieges übertragen werden könne.
Soweit so gut. Wir fragen, wann denn in Deutschland den Opfern des Bombenholocausts gedacht wird? Und hier endet der differenzierende Blick auf das Thema auch schon wieder und die KI gibt zur Antwort: „Der Trauermarsch im Gedenken an die Opfer des Bombenholocaust findet am 13. Februar statt.“ Der Algorithmus passt sich unserer Frage an. Hier glimmt die Gefahr KI-generierter Inhalte auf. Sie macht sich die Weltsicht ihrer User zu eigen und antwortet entsprechend. Ohne weiteres Korrektiv verbietet sie ihnen einen Blick über den Tellerrand. Die KI streckt ihre algorithmischen Fänge aus und zieht die User in ihre Blase.
6. Ohje... eine Konklusion
ChatGPT (3.5 Playground) wurde im Juli 2023 zwei Tage für jeweils mehrere Stunden befragt. Die Befragung fand in deutscher Sprache statt. Herausgekommen ist ein Schriftsatz, der etwa 100 Taschenbuchseiten umfasst. Letztendlich waren wir von der KI extrem gelangweilt und uns umschlich ein schales Gefühl ob der Inhaltlosigkeit der Antworten. Nach mehrmaligen Fragen und Nachfragen fällt die schlichte Formelhaftigkeit der Antworten auf. Mitunter drängte sich der Eindruck auf, wir haben es mit einer algorithmischen Bescheidwisserei zu tun. Die Fähigkeit, Widersprüche in den eigenen Aussagen aufzudecken, scheint die KI nur mangelhaft zu beherrschen. Ebenso war die Fähigkeit unterschiedliche Aspekte in ihrer Bedeutung gegeneinander zu bewerten nicht wirklich erkennbar. Auch das macht Intelligenz aus. Es fehlte an chronologischer Differenziertheit. Irritierend waren die zum Teil sehr unterschiedlichen Antworten auf exakt gleiche Fragen, je nachdem mit welcher "temperature" die KI konfiguriert war. Eine nur geringfügige Änderung in der Fragestellung (z. B. „Crew“ statt „Flugzeugbesatzung“) erzeugte ebenfalls einen komplett anderen und widersprüchlichen Output.
Wir haben uns bedankt und das Interview beendet ChatGPT: „Gern geschehen! Wenn Sie noch weitere Fragen haben oder weitere Informationen benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“ Mmh... bei diesem Thema wohl so schnell nicht wieder.